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Voraussetzungen des Verweisungsberufs in der Berufsunfähigkeitsversicherung

Urteil vom 20.12.2017 – BGH, IV ZR 11/16

Es geht um folgendes:
Wer in seinem hochqualifizierten, aber schlecht bezahlten Job Berufsunfähig wird kann nicht vom dem Versicherer wirksam auf einen gut bezahlten, aber wenig qualifizierten, tatsächlich ausgeübten Job verwiesen werden. Der Versicherungsnehmer bekommt dann – trotz Verweisungsklausel in den Bedingungen, die BU-Rente weiterhin bezahlt.

Zum Fall

Der Versicherungsnehmer (Kläger) verlangte seine Berufsunfähigkeitsrente vom Versicherer. Der Versicherungsnehmer hatte zum Zeitpunkt der Antragsstellung auf BU-Leistungen eine recht bewegte berufliche Karriere hinter sich. Er absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Landmaschinenmechaniker. Dann war er sechs Jahre im Bereich des Metallbaus mit dem Schwerpunkt Hufbeschlag tätig. Nach einem weiteren Lehrgang machte er sich im Juni 2003 bis März 2009 als Hufbeschlagschmied selbständig. Dann, ab dem 01.04.2009 bis zum 30.04.2015 war der Versicherungsnehmer in einer Biogasanlage tätig. Zunächst als Anlagenwart, dann als Maschinenführer, wobei mit dem Wechsel zur Biogasanlage ein höheres Einkommen verbunden war (höher als Hufbeschlagschmied). Seit dem 01.05.2015 schließlich ist der Versicherungsnehmer als Lagerist in einem anderen Unternehmen beschäftigt.

Von dem beklagten Versicherer verlangte der Kläger Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, da er aufgrund eines im Jahre 2004 begonnenen Leidens von chronischen Lendenwirbel- und Schultergelenksbeschwerden sich genötigt sah, seine Tätigkeit als selbständiger Hufbeschlagschmied zunächst einzuschränken und dann aufzugeben und zur Tätigkeit in der Biogasanlage zu wechseln.
Der Versicherer verweigerte die Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Die Begründung: Der Versicherungsnehmer könne auf seine Tätigkeit als Maschinenführer verwiesen werden.

BGH erteilt der Argumentation der Beklagten eine Absage

Nachdem die Vorinstanzen noch der Auffassung des Versicherers beipflichteten, erteilte der Bundesgerichtshof der Argumentation der Beklagten eine Absage. Er begründete dies wie folgt:

Eine Verweisung des Versicherten auf eine andere Tätigkeit käme nach den Versicherungsbedingungen der Beklagten nur dann in Betracht, wenn die andere Tätigkeit seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Die bisherige Lebensstellung wird vor allem durch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit geprägt. Ihre Berücksichtigung sondert Tätigkeiten aus, deren Ausübung deutlich geringere Fähigkeiten und Erfahrung erfordert als der bisherige Beruf. Die Lebensstellung des Versicherten bemisst sich also an der Qualifikation seiner Erwerbstätigkeit. Diese orientiert sich wiederum daran, welche Kenntnisse und Erfahrungen die ordnungsgemäße und sachgerechte Ausübung der Tätigkeit voraussetzt. Eine Vergleichstätigkeit ist dann gefunden, wenn die neue Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert. Weiterhin sollen Vergütung sowie soziale Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufs absinken (aaO).

Der Umstand, dass das Einkommen des Klägers als Hufbeschlagschmied nicht zur Deckung des Lebensunterhalts ausreichte und sein Berufswechsel zu einer erheblichen Einkommenssteigerung geführt hat, ändert nichts daran, dass die für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse und die hierfür notwendige Erfahrung seine berufliche Qualifikation, die durch die neue Tätigkeit nicht deutlich unterschritten werden darf, bestimmen. Der Versicherte darf in dem von ihm ausgeübten Verweisungsberuf unabhängig von einem unter Umständen auch höheren Einkommen nicht „unterwertig“ beschäftigt sein. Soll heißen: Seine frühere Qualifikation und seinen beruflichen oder sozialen Status unterschreitend, beschäftigt sein (Rixecker in Langheid/Rixecker, WG 5. Aufl. § 172 Rn. 46).

Da seitens des Berufungsgerichts keine ausreichenden Erhebungen über die Vergleichsgrundlagen getroffen worden waren, wurde anschließend der Prozess zurückverwiesen. Wenn es so ist, dass der Beruf des Hufbeschlagschmieds eine weit höhere Qualifikation verlangt als die des Maschinenführers einer Biogasanlage (wovon auszugehen ist), dann wird der Versicherungsnehmer seine BU-Rente bekommen. Obwohl er jetzt mehr verdient als vorher.

Anmerkung:

Sofern der Versicherer den Versicherungsnehmer auf einen anderen Beruf verweisen möchte, muss die neue Tätigkeit insbesondere der Lebensstellung des Versicherten entsprechen. Lebensstellung ist in diesem Zusammenhang zu verstehen als Ausdruck der Stellung des Versicherten in der Gesellschaft. Die Verweisungstätigkeit darf weder hinsichtlich der Vergütung noch in ihrer Wertschätzung spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufs herabsinken. Im Rahmen der Verweisung bedarf es daher nicht nur der Prüfung, ob durch die Verweisungstätigkeit eine Einkommenseinbuße zu verzeichnen ist. Sondern insbesondere auch, ob die neue Tätigkeit hinsichtlich der benötigten Qualifikationen vergleichbar mit der alten Tätigkeit ist und ein gleichartiges soziales Ansehen genießt.

Plakativ: Nur viel Geld verdienen mit einem Job, bei dem man nichts können muss, ist niemals vergleichbar mit dem Job, bei dem zwar nichts verdient wurde, der aber eine hohe Qualifikation erfordert. Also: Wer als Arzt oder Anwalt oder Architekt zwar fast nichts verdient hat und nun als Losverkäufer/Wärmedeckenverkäufer viel verdient, bekommt trotzdem die BU-Rente, da die Tätigkeiten nicht vergleichbar sind. Ein Urteil, das wichtig ist.

Max Wittig, Fachanwalt für Versicherungsrecht

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